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er Glaube an die unsterbliche Seele des Menschen ist ein wesentlicher Kern der christlichen Überzeugung und Lehre. Wie übrigens in jeder der Weltreligionen. Demnach ist der menschliche Körper vergänglich und wird irgendwann wegsterben, doch die Seele des Menschen wird weiter existieren. Folgerichtig wollen manche eben irgendwann nicht mehr „weitergepflegt“ werden von Menschen, für die sie sich selbst nur noch als Last empfinden. Sie möchten vielmehr selbstbestimmt ihren Körper sterben lassen dürfen, wenn sie denken, dass die Zeit dafür gekommen ist. Und ob die Zeit dafür gekommen ist, das ist doch letztlich und endlich eine sehr persönliche Entscheidung, die nur jeder Mensch für sich ganz alleine treffen kann. Warum lässt man solche Menschen das also nicht selbst tun?

Weder die Moralvorstellungen von Politikern, noch ein gesellschaftlicher "Konsens" können je ein gültiger Maßstab dafür sein, wie das Individuum mit dem eigenen Leben und Sterben umzugehen hat, sondern allein die Entscheidung des Individuums.

Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 26. Februar 2020, dieser Ansicht folgend, genau in diesem Sinne entschieden.

Dem Urteil vorausgegangen war ein jahrelanger Streit um den § 217 des Strafgesetzbuchs, der die sogenannte „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe stellte. Der Begriff "geschäftsmäßig" schloss ein: mit oder ohne Bezahlung. Beihilfe zum Suizid wurde damit quasi unmöglich. Ob Arzt oder Privatperson – wer jemandem dabei half, sich das Leben zu nehmen, musste mit bis zu drei Jahren Haft rechnen. Erst 2020 kippte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der Suizidbeihilfe.

Hier Urteil vom Bundesverfassungsgericht nachlesen.

Leitsätze zum Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 (Zitat, Auszug)
1. a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.
b) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.
c) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

Was in der oben zitierten Ziffer 1 erst einmal erstaunlich großmütig daherkommt, eine längst überfällige Generalvollmacht für das Individuum, über sein eigenes Leben oder eben Ableben bestimmen zu dürfen, ist eigentlich nur konsequent im Hinblick auf die grundgesetzlich zu garantierende Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Es wird jedoch in der Praxis recht schnell wieder eingebremst, weil dem Gesetzgeber mit dem Urteil auch die Tür für alle erdenkbaren regulierenden Einschränkungen geöffnet wurde. Und da geht die Geschichte dann wieder von vorne los.

Parteien aller Couleur, Politiker mit oder ohne Sachverstand, alle fühlen sich berufen, ihren ideologisch gefärbten Senf dazuzugeben - und das selbstverständlich in möglichst geschraubt formulierten, langatmigen Erörterungen.

Für Deutschland bedeutet das typischerweise: Freitod und Sterbehilfe werden akademisiert und bürokratisiert.

Die Rede ist gar von der Forderung an den Sterbewilligen, seinen Wunsch gegenüber der eigens dafür zu schaffenden Sterbebehörde (sic! Vorschlag von Renate Künast, Grüne) schriftlich und schlüssig zu begründen – und zwar erst nach zweimaliger Beratung durch eine zugelassene, unabhängige Beratungsstelle (wir ahnen schon, dass diese ausschließlich mit linientreuen Amtskirchenvertretern besetzt sein wird). Das erinnert doch fatal an die „Gewissensprüfung“ für Wehrdienstverweigerer vor einem Ausschuss uniformierter Herren mit der Absicht, diese naiven, faulen und g‘spinnerten Pazifisten ordentlich unter Druck zu setzen, weil sie vorgaben, Soldatenmenschen einer feindlichen Nation keine "aktive Sterbehilfe" leisten zu wollen.

Selbstbestimmtes Sterben und Sterbehilfe – das ist ein großes, philosophisches Thema, aber auch ein verdammt praktisches.

Und wie immer, wenn es uns alle angeht und jeder irgendwann einmal auf irgendeine Weise betroffen sein könnte, wird von vielen, auch von solchen, die es eigentlich besser wissen könnten, eine Menge Unsinn verzapft.

Es hört sich ja im Wolkenkuckucksheim der unbelehrbaren Sozialromantiker wahnsinnig freundlich an, wenn der ganzen Gesellschaft von einigen notorisch zwangsinkludierenden und frömmelnden Politikern verordnet wird, den Sterbewilligen ein bevormundendes „du bist gewollt“ entgegenzuschreien. Aber seien wir mal ehrlich zu uns selbst: Das stimmt doch gar nicht! Pflegefälle sind nicht „gewollt“. Wer will denn schon gerne selbst freiwillig zum Pflegefall werden? Und wer wünscht sich sehnsüchtig, einen Pflegefall zu pflegen oder mehr Geld des eigenen Einkommens für die Pflege von Pflegefällen ausgeben zu dürfen? Nichts davon ist „gewollt“. Solche Schicksalsschläge sind definitiv nicht gewollt, wenngleich sie manchmal eben eintreten.

Das Primat der christlichen Nächstenliebe sagt uns: wir haben diese zusätzlichen Belastungen auf uns zu nehmen, allenfalls noch ergänzt durch den Positivisten-Spruch „Wenn’s schon nicht zu ändern ist, dann mach‘ wenigstens das Beste draus“. Das ist soweit in Ordnung.

„Ich habe euch in allem gezeigt, dass man so arbeiten und sich der Schwachen annehmen muss im Gedenken an das Wort des Herrn Jesus, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als nehmen.“ (Apostelgeschichte 20,35)

Und genau deshalb handelt jemand, der sterben will, um seinem Umfeld und der Gesellschaft nicht länger zur Last zu fallen – ebenso wie diejenigen, die die Pflegelast zu schultern bereit sind, in wahrhaft menschlicher Größe und in der festen Überzeugung, dass Geben tatsächlich seliger ist als Nehmen.

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Publiziert am
Jan 16, 2023
 in Kategorie:
Der Tod

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